Steinfigur, die nach unten starrt als Symbol für Menschen, die Social Rehab brauchen

Ausflug: Social Rehab

Ist ein Tabak-Konzern dafür verantwortlich, dass Raucher an Lungenkrebs sterben? Nun, auch ein Nichtraucher wird zustimmen: Die Politik hat inzwischen dafür gesorgt, dass ein Bürger die Entscheidung darüber, ob er seine Lunge schwarz färben möchte, durchaus selbst treffen kann. Aber wenn Zigarettenhersteller ihre Produkte mit gruseligen Botschaften versehen müssen, warum gibt es dann keine Warnhinweise auf Vodka Flaschen? Sollen hier etwa Selbstversuche und Beobachtungen im Bekanntenkreis den Schreckeffekt einer Zigarettenpackung übernehmen? Und was ist mit Mobiltelefonen? Schließlich beeinträchtigt das Suchtpotential, das vor allem von Smartphones ausgeht, nicht nur den Straßenverkehr – Twitter am Steuer, Facebook auf dem Fahrrad oder aus der Spur geratene Fußgänger bilden nur den Anfang einer langen Kette von fragwürdigen Umständen. Es lässt sich nicht leugnen, Smartphones verändern die Art und Weise, wie wir miteinander leben. Doch diese Entwicklung gefällt nicht jedem.

Das „Social Rehab“ Projekt verteidigt Traditionen und möchte insbesondere die Kunst der Konversation retten. Man braucht keine Statistiken als Beweis dafür, dass gerade diese Form der zwischenmenschlichen Interaktion gefährdet ist. Man muss sich nur umschauen. An einem Abend im Restaurant, an einem Morgen im Café. Bekannte, Freunde und Familien, die sich gegenüber sitzen und nichts voneinander mitbekommen, weil ihre Aufmerksamkeit vorwiegend dem Smartphone gilt. Genau diese Menschen sollen von dem Angebot Gebrauch machen, das Praktikanten der Kreativagentur Bartle Bogle Hegarty (BBH) in Singapur zusammengestellt haben.

Den Hauptbestandteil bildet das „Social Rehab Toolkit“. Damit die Entzugserscheinungen einen langfristigen Erfolg nicht gefährden, transportiert es den Patienten, auf sanfte Weise, zurück in die herkömmliche Ordnung des menschlichen Zusammenseins. Die Werkzeuge: Eine Brille, die man mit unterschiedlich farbigem Zellophan tragen kann, ersetzt Instagram, das in der Smartphone-Welt die Sehnsucht nach dem Gestern erfüllt. Like-Buttons gibt es zum Anstecken. Sie werden nicht mehr leichtfertig vergeben, sondern mit Augenkontakt. Kurze Nachrichten, gerne länger als 140 Zeichen, werden auf Handzettel geschrieben. Statt Videos von Katzen anderer Leute zu veröffentlichen, kann man sich darin versuchen, etwas Unterhaltsames zu zeichnen. All diese Dinge durfte man bereits im August dieses Jahres in einem angesagten Club testen. Zusätzlich wurde Rabatt auf Getränke gewährt. 10% gab es für eine Stunde Abstinenz, 40% wenn man es geschafft hat, sein Telefon den ganzen Abend lang in der Tasche zu lassen.

Den Werkzeugkasten ergänzen ein paar einfache Regeln. Beim Telefonieren den Raum verlassen; ein Telefon gehört nicht auf den Tisch; Augenkontakt hält man mit Menschen, nicht dem Telefon; kein Zugang zu sozialen Netzwerken, wenn man gerade Bekanntschaften im echten Leben pflegt. Das Ganze erinnert im ersten Augenblick an Benimmregeln. Kein Wunder, denn oberflächlichen Normen wird in unserer Gesellschaft viel Bedeutung beigemessen. Doch wäre es schade, wenn es einem Projekt wie „Social Rehab“, erginge wie Freiherr von Knigge, und sein Name für reine Äußerlichkeiten missbraucht würde. „Social Rehab“ hat vielmehr etwas mit den ursprünglichen Absichten von Knigge zu tun. Es geht darum, zu hinterfragen, wie Menschen in Zukunft miteinander leben wollen. „Über den Umgang mit Menschen“, Knigges heute bekanntestes Werk, ist genau diesem Thema gewidmet. (Die Benimmregeln stammen gar nicht von Knigge. Der Verlag hat sie erst in der zehnten Auflage des Buches hinzugefügt.)

Wollen wir also unsere Schwächen zugeben, Verabredungen einhalten und unserem Gegenüber mehr als eine Minute Aufmerksamkeit widmen? Oder bevorzugen wir eine Scheinwelt aus Bits und Bytes, weil es dort viel leichter ist, das Abziehbild eines Prototypen zu sein, den andere für uns erschaffen haben? Knigge rät: „Sei aber nicht gar zu sehr ein Sklave der Meinungen andrer von Dir! Sei selbständig! Was kümmert Dich am Ende das Urteil der ganzen Welt, wenn Du tust, was Du sollst? Und was ist Deine ganze Garderobe von äußern Tugenden wert, wenn Du diesen Flitterputz nur über ein schwaches, niedriges Herz hängst, um in Gesellschaften Staat damit zu machen?“

 

„Social Rehab“ zeigt nicht nur, dass auch junge Menschen Knigges, mehr als zweihundert Jahre alte Bemerkung, teilen: „Wir sehen die klügsten, verständigsten Menschen im gemeinen Leben Schritte tun, wozu wir den Kopf schütteln müssen.“ Es beweist vor allem, dass Praktikanten wesentlich mehr können, als Kaffee zu kochen.

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