Baum mit "Don't pick the flowers' - Schild als Symbol für balinesische Kultur

Das globale Dorf

Vor tausenden von Jahren befanden sich Menschen in einem Zustand, den man „globale Ignoranz“ nennen kann. Sich fremde Gruppen lebten durch Berge, Flüsse und Meere voneinander getrennt. Sie konzentrierten sich auf lokale Entwicklungen und niemand machte sich Gedanken darüber, was passiert, wenn ein Sack Reis in China umfällt. In dieser Zeit war es unmöglich, über große Distanzen hinweg zu kommunizieren. Nur wenige stellten sich die Frage, ob es überhaupt irgendetwas hinter dem Horizont gibt. So kam es, dass sich an unterschiedlichen Stellen gleiche Dinge zugetragen haben. Das Rad wurde mehrmals erfunden und die Welt war ein heterogener Ort mit homogenen Erfindungen.

Im Laufe der Zeit veränderte sich diese Lebensweise. Revolutionen eröffneten neue Perspektiven und der Mensch kam sich immer näher. Inzwischen sind wir uns sogar so nahe gekommen, dass Privatsphäre zu einem Fremdwort geworden ist, das in Museen ausgestellt wird. Zudem behaupten Pessimisten, in Zukunft würden wir nicht nur auf Privatsphäre, sondern auch auf Individualität verzichten, um einem großen Ganzen zu dienen. Wir werden als Teil eines künstlichen Gehirns funktionieren und nur dem Anschein nach selbständige Wesen sein. Tatsächlich, spaziert man durch die Einkaufzentren einer großen Stadt, gaukelt einem das Marken-Einerlei vor, der Zeitpunkt sei längst gekommen. Doch die Wirklichkeit jenseits der Konsumtempel belehrt uns eines Besseren. In unserer dicht besiedelten und doch so weiten Welt gibt es, trotz Zara, Bubble Tea und Co., immer noch regionale Unterschiede. Außerdem möchte nicht jeder, der es könnte, auch ein Weltbürger sein. Jahrtausende lokaler Einsamkeit lassen sich eben nicht von heute auf morgen vergessen.

Unzählige Faktoren tragen dazu bei, dass wir alle ein kleines bisschen anders sind. Der signifikanteste von ihnen – Kultur. Dieser im Unterbewusstsein verankerte Orientierungspunkt beeinflusst wie Menschen denken und was sie tun. Das haben global agierende Unternehmen durchaus erkannt. Doch der beliebte Slogan „Think global, act local“, auf dem Weg der guten Absichten in grellen Farben plakatiert, landet allzu oft und viel zu schnell in einem gedanklichen Schredder. Häufigste Ursache: die Kostenfalle. Dort, wo man einen Vorreiter bräuchte, guillotiniert man selbigen lieber, um die Spesen des Reiters und das Futter für den Gaul zu sparen. Was bleibt ist ein oberflächlicher Blick auf die Welt und, als Manifestation der Ignoranz schlechthin, das auf vielen Websites zu findende Fähnchen für die Sprachauswahl.

Schade eigentlich. Denn es gäbe viel zu entdecken. Zum Beispiel die andauernde Fehde um den Umgang mit Daten. Während Zentraleuropäer verhalten sind, schmeißen US-Amerikaner alles in den Rachen der Datenteufel. Oder die Tatsache, dass ein spanischer Arbeitstag selten um sechs Uhr morgens anfängt. Wer in östlichen europäischen Ländern versucht, als Fußgänger die Straße zu überqueren, wird merken, dass die hübschen Zebrastreifen lediglich zur Dekoration dienen. Und während alle Welt von „Mobile“ redet, haben Kanadier keine Lust auf diesem Wege einzukaufen. Aber man muss nicht immer in die Ferne schweifen, um sich kulturelle Unterschiede klar zu machen. Das zeigen Filme wie „Willkommen bei den Sch’tis“ und das weiß auch ein Hamburger, der eine Reise nach Bayern macht. Ein ganz anderer Hamburger ist übrigens zur Stolperfalle für ein Weltunternehmen geworden. Als McDonald’s in den neunziger Jahren den indischen Markt betreten hatte, wurde unter anderem ein Burger mit Rindfleisch angeboten. Das hat den Hindus gar nicht so gut gefallen. Sie verurteilten die Marke, griffen sie öffentlich an und sorgten dafür, dass die kulturellen Unterschiede in einem vegetarischen McDonald’s Restaurant gewürdigt werden.

Geschäftsschädigende Entwicklungen wie diese kann man, wenn man das mit den Kosten und Investitionen richtig angeht, vermeiden. Multikulturelle Unterschiede lassen sich schließlich erforschen. Klassisch, durch primäre und sekundäre Marktforschung oder mit ausgefallenen Methoden wie dem Studium des menschlichen Reptiliengehirns – ein Archetypus, den wir bis heute mit Krokodilen teilen. (Ein bekannter Name auf diesem Gebiet ist Clotaire Rapaille, dessen Services unter der Marke „Archetype Discoveries Worldwide“ angeboten werden.) Allerdings kommen zu den üblichen Herausforderungen der Marktforschung weitere hinzu. Zum Beispiel beeinflussen kulturelle Faktoren die Art und Weise wie Menschen auf Befragungen reagieren. In Ländern, in denen Kritik als unhöflich gilt, könnte es bei einem persönlichen Gespräch dazu kommen, dass Fragen nicht wahrheitsgemäß beantwortet werden. Wo Frauen nicht mit Fremden sprechen dürfen, lassen sich die täglichen Gewohnheiten beim Wäsche waschen nicht in der Waschküche erforschen. In Diktaturen wird kaum jemand schlecht ausgebaute Straßen kritisieren. Für spezifische Produkte und Dienstleistungen existieren häufig keine sekundären Daten. Das verführt dazu, von einem Land auf einen ganzen Kontinent zu schließen.

Ob man seine eigenen Mitarbeiter als Botschafter einer Kultur zu Rate zieht, mit einem Boot erkundet wie der Fisch an die Angel kommt oder Tonnen von Papier studiert, grundsätzlich führen zwei Wege zum Ziel, fremde Märkte zu erobern: Man versucht, jedem einzelnen eine künstliche Weltkultur aufzustülpen oder erforscht unterschiedliche Kulturen und trägt dazu bei, eine heterogene Welt zu erhalten. Welchen Weg man wählt hängt davon ab, wie man sich die Zukunft vorstellt.

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