Beispiel für die Visitenkarte eines Sprayers

Weltliche Rituale im Kartenformat

In einer Welt voller Chaos schaffen weltliche Rituale eine gewisse Ordnung. Sie bieten Orientierungshilfen und erlauben uns, einen Augenblick lang inne zu halten. Jemandem bei der Begrüßung die Hand zu geben ist so ein Ritual. Es ist hunderte von Jahren alt und hat das finstere Mittelalter sowie die Finanzkrise überstanden. Nicht ganz so betagt, doch in der Geschäftswelt mindestens genauso selbstverständlich: Der Tausch von Visitenkarten.

Zwei Individuen, manchmal ganze Gruppen, beschnuppern einander. Wenn sie nicht weltfremd oder unhöflich sind, schauen sie sich in die Augen. Es folgt das Händeschütteln, bei dem man hofft, das Gegenüber begegne einem weder mit einem Fischhändedruck noch einem Schraubstock-Griff. Mobiltelefon, Laptop und Tablet werden zur Seite geschoben – vorübergehend verlieren moderne Insignien ihre Bedeutung. Dann haben sie ihren Auftritt: Archaische Relikte, gewöhnlich aus Papier, selten aus Holz, Plastik oder anderen Fasern, werden über den Tisch geschoben oder in die Hand gedrückt. Diese zumeist ratlos rechteckigen Helfer dienen dazu, ein Verantwortungsgebiet zu markieren. Sie ermuntern zu einer späteren Kontaktaufnahme. Visitenkarten sind ein winziger Bestandteil eines großen Ganzen. Häufig unterstreichen sie den ersten Eindruck von einem Unternehmen. Und doch gehören sie zu einer der am meisten vernachlässigten Arten der Kommunikation.

Zugegeben. Es klingt verführerisch. Schließlich kann man online 250 Visitenkarten schon für fünf Euro bestellen. Pfiffige Generatoren helfen dabei, vorproduzierte Muster auf eigene Bedürfnisse anzupassen. Aber es ist, als würde man Kleidung von der Stange kaufen, obwohl man das Ziel hat, einzigartig zu wirken. Trotz aller Möglichkeiten, die eine Visitenkarte bietet, kommen viele Identitätsnachweise nichtssagend oder schier zerstörerisch daher. Bei der Auswahl der Inhalte angefangen, bis hin zur Umsetzung, es gibt eine Reihe von Gründen dafür, dass einem über Nacht graue Haare wachsen.

 

Der Stoff aus dem die Marken sind
Billiges Papier ist eine der häufigsten Ursachen für Visitenkartenallergien. Was möchte jemand vermitteln, der Papier verteilt, das in den Händen zerfällt? Die Vergänglichkeit des Lebens? Die Beugsamkeit des Angebotes? Oder soll das Gegenüber sich berufen fühlen, das kleinste Papierflugzeug der Welt zu basteln?

 

Titelschlacht
Was ist ein Chief Supervisor? Womit verdient ein Vice President, der ganz eindeutig nicht sehr weit oben im Unternehmen angesiedelt ist, seine Bezeichnung? Wen interessiert eigentlich dieser Wirrwarr aus Interna? Mal abgesehen von dem Inhaber der Karte, natürlich, der Jahre lang in politischen Machtkämpfen Schritt für Schritt Siege errungen hat und wahnsinnig stolz darauf ist. Sind Fachhochschulabschlüsse, Spezialausbildungsberufe und Volkshochschul-Diplome wichtig? Wäre es nicht sinnvoller, anzudeuten, was jemand tut oder wofür er verantwortlich ist?

 

Gestalterische Freiheiten
Drei Visitenkarten einer Firma, am gleichen Tag erhalten, liegen neben einander. Jede von ihnen sieht völlig anders aus: unterschiedliches Format, abweichendes Design. Ja selbst das Logo probt einen Wirbeltanz. Hier unedel in einem bunten Viereck gefangen, da einsam und farblos geprägt. Ein Mal ist das Postfach angegeben, ein anderes Mal Postfach und Hausadresse. Telefonnummern werden auf allen drei Karten mittels unterschiedlicher Kürzel angekündigt. Markenbildung im Sinkflug.

 

Das Kostenargument
Weniger ist mehr. Diese Aussage kann man auf unterschiedliche Art und Weise interpretieren. Bei Visitenkarten heißt es häufig, je billiger desto besser. Die Befürworter dieser Interpretation behaupten: Visitenkarten verschwinden sobald das Gespräch zu Ende ist. Sie werden brutal an irgendwelche Interessenten-Bögen getackert oder eingescannt und sorglos entsorgt. Sicher, die Gefahr existiert und jedem Unternehmen stehen begrenzte Mittel zur Verfügung. Deshalb gilt es, zwischen Kostenoptimierung und Investition die Balance zu finden, auch im Fall des kleinsten Repräsentanten eines Unternehmens.

 

Eine Sache des Formats
Wäre ein Mitarbeiter von Hugo Boss in KiK Kleidung der richtige Vertreter seiner Marke? Wenn ein Erbe von Faber Castell bei der nächsten Besprechung einen BiC Kugelschreiber nutzt, sollte man sich Sorgen um die Zukunft des Unternehmens machen? Betont ein Mitarbeiter von Samsung mit einem iPad in der Hand, dass man über den Dingen steht? Wieso gibt es dann so viele furchtbar markenfeindliche Visitenkarten auf der Welt?

 

Zum Schluss
Muss eine Visitenkarte unheimlich kreativ sein? Nein. Es ist ja auch nicht jede Marke Zirkusartist oder Graffitikünstler.

 

Eine schöne Ideensammlung zum Thema gibt es übrigens bei Cardonizer. Gebrauchshinweis: Das ist Inspiration, nicht die Aufforderung etwas zu kopieren, das der Marke Angst einjagende Fremdattribute verleiht.

Wir freuen uns auf Ihre Ideen und Anregungen

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Aber wir müssen uns davon überzeugen, dass Sie kein bösartiger Roboter sind. Die dazu erforderlichen Felder sind mit * markiert.

dreizehn − eins =