Außenwerbung

OoH, Frau Meier und jede Menge bedrucktes Papier

Gertrude Meier schloss die Haustür ab und war höchst erfreut. Es hatte endlich aufgehört zu regnen und sie konnte den Weg zum Café ohne Schirm oder Regenmantel beschreiten. Passanten, die an ihr vorbei liefen, maßen dem wahrscheinlich keine Bedeutung bei. Sie sahen die rüstige, ältere Dame mit Rollator kaum an. Für die Dreiundachtzigjährige bedeutete es, sich keine Gedanken darüber zu machen, wie sie würdevoll und trocken zugleich zum Frühstück mit ihren Freundinnen ankommen würde.

Der Weg zum Café war kaum zehn Minuten lang, doch die vielen Möglichkeiten stehen zu bleiben, verlängerten ihn zumeist auf fünfundzwanzig. Zunächst war da die Litfaßsäule, an der immer das neueste Theaterprogramm klebte. Dann Frau Schmidt, die jedem auflauerte, der ihren Kiosk passierte. Heute wunderte sich Frau Meier auch noch über das riesige Plakat an der Hauswand ihres Bäckers. Ein neuer Kinofilm wurde angekündigt. Mehrere ältere Gesichter schauten einen freundlich an. Die Gesichter hatten Falten, sehr viele Falten. Das sah man selten auf Plakaten und alleine diese Tatsache weckte ihr Interesse. Lediglich der englische Titel machte Frau Meier Sorgen. Ob Sie den Film verstehen würde? An der Bushaltestelle standen zwei Mädchen vor einem anderen Plakat und fuchtelten ganz aufgeregt mit ihren Mobiltelefonen herum, sich zurufend: „Geil, endlich die neueste Kollektion! Wir müssen den Gutschein einlösen. QR Code, schnell!“

Frau Meier, sonst nicht allzu nostalgisch veranlagt, dachte an einen Moment in ihrer Kindheit zurück, als sie selbst einmal ein Plakat angehimmelt hatte. Zu sehen waren weder ein dürres Mädchen noch ein düster drein blickender Kerl mit Vollbart. Es waren eine Frau mit einem in der Weltgeschichte einmaligen Gesichtsausdruck und ein Mann, der so gut aussah, dass Getrude Meier sein Abbild nie vergessen hatte. Die beiden kündigten die Filmaufführung der „Kameliendame“ an. Den Film konnte Trudi, wie sie ihre Familie nannte, damals nicht im Kino anschauen. Aber vor ein paar Jahren hatte ihre Enkelin ihr einen DVD Player geschenkt. In dem ersten Film, den sie gemeinsam angeschaut hatten, haben Greta Garbo und Robert Taylor noch besser ausgesehen als auf diesem riesigen Plakat. Wie musste das erst im Kino gewesen sein.

Plakate haben Trudi ein Leben lang begleitet. Sie wandelten sich im Laufe der Jahre. Doch letztendlich hat sich seit der Ausgangsform, als ein Plakat noch Anschlag hieß, nicht viel getan: ein Stück Papier enthält eine Botschaft, die an eine Fläche geheftet wird und Aufmerksamkeit erregen soll.

Plakate sind Urgesteine der Kommunikation. Sie machen einen Großteil des gesamten Bereiches Außenwerbung aus. (Auch als „OoH“ oder „Out of Home“ bekannt. Selten bringt einen eine Abkürzung so schamlos zum Gähnen.) Der Fachverband für Außenwerbung liefert einige Fakten. Zum Beispiel darüber, wer mit einem Plakat erreicht werden kann: mobile kaufkraftstarke Bevölkerungsschichten sind im Fokus. Diese Schichten sind für die Hauptwerbetreibenden sicher Zielgruppe Nummer eins. Frau Meier gehört zu einem ganz anderen Segment. Und neben den oberen Zehntausend der Werbetreibenden gibt es ja auch noch viele große, mittelständische und kleine Unternehmen, die sich für Frau Meier interessieren. Deutschlandweit kann man schließlich 329.000 unterschiedliche Flächen mit Plakaten versehen. Platz ist also für alle da. Und leisten kann man sich so ein Plakat allemal: In einem Ort mit bis zu 10.000 Einwohnern gibt es die Miete für einen Tag schon ab 11 Euro.

Die Mietkosten für eine Plakatfläche werden für einen Zeitraum von zehn oder elf Tagen kalkuliert. Die Miete hängt, wie die Wohnungsmiete auch, vom Standort ab. Die Kosten berücksichtigen wie viele Fußgänger vorbei laufen und Autos oder öffentliche Verkehrsmittel vorbei rasen. Wenn das Verkehrsaufkommen hoch genug ist, lohnt sich nämlich auch mal eine besondere Aktion. Zum Beispiel handbemalte Plakate wie die von Royal Copenhagen oder Converse innerhalb der „Just Add Color“ Kampagne.

Plakate gelten als sympathischer Werbeträger. Sie sind auffällig, aber nicht aufdringlich. Sie rufen einem zu, sperren aber nicht ständig den Weg ab. Mehr Marktschreier, weniger orientalischer Pauschaltouristenschreck. Sie sind überall, nur nicht in unserem Zuhause. Manche von ihnen schlafen nie. Sie leben in Türmen, auf Säulen, hinter Glas, begleiten uns auf Schienen und schauen von Wänden herunter. Sie sind zumindest groß, manchmal riesig. Sie sprechen unterschiedliche Themen an. Plakate können vieles sein. Kunst. Werbung. Pop. Ihrem Erfolg sind keine Grenzen gesetzt. Bei Werbeplakaten sollte man nicht vergessen, dass sie bei all der Magie, die sie ausstrahlen können, nur dann die gewünschte Wirkung haben, wenn das Produkt, das dahinter steht und der damit verbundene Service, nicht enttäuschen.

 

Im Radio hatte Gertrude Meier gehört, der Mensch würde heute viel mehr Zeit draußen verbringen. Sie fragte sich, denn darauf ging der Moderator nicht ein, im Vergleich zu wem oder was? Bauern waren schon immer viel draußen und Bauarbeiter auch. Sicher, manche Menschen fahren jetzt viel weiter zur Arbeit. Und ihre Enkelin zieht auch ständig von Stadt zu Stadt. Studium, Arbeit, neue Arbeit. Ihr Sohn und die anderen Enkel aber wohnen seit Jahren schon in dem gleichen Dorf. Komisch, dachte sie. Man möchte meinen, bestimmte Phänomene kommen aus einer Randgruppe, dehnen sich innerhalb dieser Gruppe aus und erwischen doch nicht die breite Bevölkerung. Aber weil all das so spannend ist, verbreitet sich die Nachricht und plötzlich glauben alle das Phänomen sei allgemeingültig.

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