Es gibt Dinge im Leben, die man nicht vergisst. Allerlei Kleinigkeiten setzen sich in der Erinnerung fest. Wie Kletten, die an einem langen Schal aus Wolle hängen geblieben sind, reihen sie sich von Jahr zu Jahr aneinander.
Da ist zum Beispiel der blau-gelbe Buchumschlag, der „Die Kinder aus Bullerbü“ schützt. Die Ausgabe von 1957 steht immer noch in Ihrem Regal. Sie ist etwas abgenutzt, weil Sie das Buch mindestens sechs Mal gelesen haben. Sie ist auch ein wenig verstaubt, weil es schon so lange her ist, seitdem Sie ihr das letzte Mal die Chance gegeben haben, Ihre Augen aufs Neue zum Lächeln zu bringen. Oder nehmen wir die Hecke an dem alten verlassenen Haus, das sie mit ihren Freunden in einen Abenteuerspielplatz verwandelt hatten. Ein Dorn aus dieser Hecke steckt noch immer in Ihrem kleinen Finger. Sie schafften es nicht ihn herauszuziehen und irgendwann wuchs einfach Schicht für Schicht Haut darüber. Dann gibt es noch diesen orange farbenen Baumwollpulli, ein Geschenk zur Einschulung. Die selbst gebastelte Schultüte hätte eigentlich farblich auf ihn abgestimmt sein sollen. Doch bei den Vorbereitungen streiften Sie den Ellenbogen Ihrer Mutter und eine frisch gebrühte Tasse Kaffee lief über das braune Papier. Aus Zeitnot musste man auf einen Bogen in Rosa zurückgreifen. Aber Ihnen machte das gar nichts aus.
An einem sonnigen Frühlingstag im letzten Jahr machte es Ihnen sehr wohl etwas aus, dass Ihr Kollege, dessen dreiste Faulheit Ihr Chef immer wieder ignoriert, einmal wieder Lob ergattern konnte, während Ihre Leistung als selbstverständlich betrachtet wurde. Nach der Arbeit gingen Sie stirnrunzelnd zum Einkaufen. Irgendwo zwischen überteurten Oliven und der Käsetheke fuhr eine faltige Dame im Rollstuhl über Ihren Fuß. Dieses vor Schmerz verzerrte Gesicht bleibt nicht nur in Ihrer eigenen Erinnerung hängen. Die Verkäuferin, die von weitem zuschaute, wird noch lange daran denken, wie Ihre Lippen die Worte „alte Ziege“ formten, sie jedoch nie zum Leben erweckten. Das wäre auch gar nicht möglich gewesen. Das Bild Ihrer Großmutter verhinderte es. Als sie nicht mehr gehen konnte, sagte sie immer wieder: Schwer und unhandlich ist so ein Rollstuhl, gebrechlich und unfähig der Mensch, der drinnen sitzt. Dabei lächelte sie und hielt Ihre Hand.
Auf dem Weg nach Hause nahmen Sie die U-Bahn. Drei Jungendliche lehnten lässig an der Tür und wechselten ab und zu ein paar Worte miteinander. Jeder von ihnen hatte einen Kopfhörer im Ohr. Das andere Ohr schenkte er der Umwelt. Eine Weile sinnierten Sie darüber nach, ob das Schauspiel Beweis für die Muliti-Tasking-Fähigkeit der neuen Generation oder schlichte Unhöflichkeit sei. Danach widmeten Sie sich der Zeitung. Sie berichtete von dem Tod des Mannes, der für die westliche Welt viele Jahre lang den Terror verkörpert hatte. Es wurde betont, dass durch die Beseitigung dieser PR wirksamen Persönlichkeit, nicht gleich das ganze Unternehmen ins Jenseits befördert werden konnte. Vergeltung hat eben noch nie dazu geführt, dass alles besser wird.
Zu Hause klingelte das Mobiltelefon. Ein vermeintlich furchtbar wichtiger Anruf von Ihrem Chef. Sie überließen das schrille Geräusch sich selbst und gingen zum Bücherregal.
Was das mit Marketing zu tun hat? Alles und nichts. Es ist nun mal so, dass jeder Schritt, den wir gehen, Einfluss auf unsere zukünftigen Entscheidungen haben wird. Vielleicht lohnt es sich, kurz darüber nachzudenken. Aber vielleicht lächeln Sie einfach nur oder wundern sich, wie die Zeit vergeht. Schließlich muss nicht alles im Dienste von Effektivität und Effizienz stehen. Es ist jedoch anzunehmen, dass alles einen Sinn hat.