Zulieferer leiden unter Preisdruck. Preisbewusste Verbraucher machen Kühe unglücklich. Kampfpreise lösen Massenhysterie aus. Bürger fordern Preisbindung für Vollkornbrot. Preiserhöhungen lassen Züge entgleisen. Rekordpreis für Benzin treibt Autofahrer in den Wahnsinn. Pechvogel überdreht Preisschraube. Günstiger Preis wichtiger als Sicherheit. Preiskomplexität in der Telekommunikationsbranche beschleunigt Wachstum von Stammtisch-Lokalen.
Der Tag, an dem die Tages- oder Wirtschaftspresse nicht wenigstens einen kleinen Artikel zu seinen Ehren bringt, wird ein besonderer sein. Er ist eben in aller Munde und jeder von uns lebt mit der Gewissheit: Alles hat seinen Preis. Philosophisch gesehen, mag man über diese Aussage streiten. In der Welt der Dienstleistungen und greifbaren Produkte ist es eine unleugbare Tatsache. Und weil das so ist, kommt kein Unternehmen daran vorbei, sich mit dem Preis zu beschäftigen. Dabei ist der Preis nicht nur irgendeine Zahl im Währungsformat. Er ist eines der Hauptinstrumente im Marketing-Mix und eines der komplexesten dazu.
Wer das Steuerungsinstrument „Preis“ bedient, verfügt über ein Schaltpult voller Möglichkeiten. Nicht gerade selten hat man das Gefühl, es seien viel zu viele und die Verantwortlichen hätten den Überblick über all die Regler und Knöpfe längst verloren. Die Fluggesellschaft Condor ist ein gutes Beispiel für dieses Phänomen: Ihre Flugtickets werden zu einem günstigen Preis verkauft. Doch damit Kunden 30 Stunden bis 8 Stunden vor Abflug online einchecken können, sollen sie sich auf Kurz- und Mittelstrecken einen Sitzplatz für 10 Euro und auf Langstreckenflügen für 15 Euro sichern. Alternativ wird man aufgefordert, einen „Sitzplatz Joker“ für 5 Euro zu ziehen. Damit überlässt der Reisende es zwar dem Zufall wo er sitzt, darf aber den Online Check-in nutzen. Entscheidet man sich gegen eine der Zusatzgebühren, darf man erst ab 8 Stunden und bis 2 Stunden vor Abflug online einchecken. Eine abenteuerliche Angelegenheit, bedenkt man, dass die Konkurrenz den Kunden zum Online Check-in ermuntert und das Einchecken am Schalter mit hohen Gebühren straft. Aber wer weiß, vielleicht ist das ein innovativer Ansatz, den man als Fremder nicht beurteilen kann. Möglicherweise sehen wir nur ein Detail, von dem wir nicht wissen, wie es zum Gesamtbild passt.
Ein Produkt ist immer Teil eines großen Ganzen. Innerhalb dieses Konstruktes muss es seine Rolle finden und eine Zielsetzung erreichen. Soll es Marktanteile steigern, den Gewinn erhöhen oder nur das Überleben sichern? Diese Entscheidungen bilden die Ausgangsbasis für die Preisbildung. Wählt ein Unternehmen den Preis für ein Produkt zum allerersten Mal, setzt es bei diesem Prozess Weichen für die Zukunft. Am Anfang wird nämlich festgelegt, in welcher Liga ein Produkt spielen soll und neben der Qualität ist der Preis für die Positionierung ausschlaggebend. Ob es sich um eine komplexe Dienstleistung handelt oder eine Büroklammer, jede Art von Produkt bedient unterschiedliche Segmente. Auf einer Skala von billig bis teuer versucht man dann, den Ansprüchen dieser Segmente gerecht zu werden.
Dabei empfiehlt es sich grundsätzlich, den Preis in Relation zur Qualität zu setzen (Massenproduktion aus billigsten Materialien – günstig, handgearbeiteter Schuh aus hochwertigem Leder – teuer). Eine andere Komponente, die bei der Überlegung nicht fehlen darf ist der Wert, den ein Produkt für eine Zielgruppe hat. Aber genau diese Variable ist schwieriger einzuschätzen denn je. Schon die Definition einer Zielgruppe bereitet Kopfschmerzen, denn die einst schlichte Einteilung in „weiblich, ledig, jung“ oder „großes Unternehmen mit viel Budget für Zubehörteil X“ gibt es nicht mehr. Heute ist die Manolo Blahnik Jeweled Thong Sandale unverzichtbar für Journalistinnen mit ausgeprägtem Hang zu Beziehungskatastrophen und der Einkauf von Charles Eames Tischen zwingend für den Pensions-Besitzer im Schwarzwald, der einen Traum hat.
Einer strategischen Abwägung folgt die Auswahl der Methode zur Preisberechnung. Je nach Branche kann diese Kalkulation simpel oder sehr kompliziert werden. Nimmt man die Kosten und fügt eine Marge hinzu? Geht man von einem bestimmten Gewinn aus? Orientiert man sich immer an der Konkurrenz und versucht einen Cent billiger zu sein? Immer wieder kehrt ein Unternehmen dabei zum Ursprung zurück und fragt sich: Kann ich mit dieser Kalkulation meine Ziele erreichen? Und genau dasselbe sollte man sich wieder fragen, wenn man an den beiden Reglern der Preispolitik dreht, die die Gemüter Tag ein, Tag aus am meisten erregen:
- Nachlässe (Osterhasen werden schon im Februar zu Schleuderpreisen verkauft; wer den Hausmeisterdienst für zehn Jahre im Voraus bucht, zahlt zehn Prozent weniger im Jahr; drei Prozent Skonto bei Zahlung in polierten Münzen)
- Preisdifferenzierung, gerne und zu Recht auch als Preisdiskriminierung bezeichnet (polnische Gänse werden Deutschen günstiger angeboten als Russen; morgens kostet der Kaffee mehr als abends; Neukunden bekommen eine günstigere Versicherung als solche, die dem Unternehmen zwanzig Jahre lang die Treue gehalten haben; Kebab zum Mitnehmen ist günstiger als derjenige, den man im Restaurant verzehrt)
Das mit dem Preis, das ist eben kein Kinderspiel. Das wissen die Verantwortlichen bei Condor genauso gut wie jeder Flohmarkt-Verkäufer. Diese vielen Knöpfe und Regler können einen aber auch wirklich verwirren. Und manchmal gilt eben auch im Marketing was Harry Mulisch in seinem Buch „Die Prozedur“ längst erkannt hatte:
„Ob eine Eingebung wirklich idiotisch ist, zeigt sich erst, wenn man einen Teil des Irrwegs gegangen ist und der Sumpf sichtbar wird.“