Baum als Symbol für einen düsteren Tag, den man auch im Einkaufszentrum verbringen kann

Ein Labyrinth und kein Ende der Welt

Draußen ist es viel zu warm, von Schnee keine Spur. Nebel lässt die Landschaft aussehen, als hätte man wieder das Schwarz-Weiß-Fernsehen eingeführt. Der Traum von einer weißen Weihnacht – ausgeträumt. Und dann ist auch noch für heute das Ende der Welt angesagt. Welche Zeitzone gilt denn da eigentlich? Da die Nachricht aus Mexiko kommt, haben wir wahrscheinlich noch ein klein wenig Zeit. Zumindest noch so lange, bis dieser Artikel fertig ist. Aber im Grunde genommen bin ich sehr zuversichtlich, dass sich die Erde auch morgen noch dreht. Ich schlage deshalb vor, wir feiern alle. Alle, bis auf die Betreiber eines bestimmten Einkaufszentrums in einer Stadt am Main. Dieses Einkaufszentrum hat nämlich zur Weihnachtszeit beschlossen, den Menschen gehörig auf den Nerv zu gehen. Die ganz besondere Überraschung: ein Labyrinth.

Stellen Sie sich vor, Sie wollen schnell mal in einen großen Elektronik-Markt. Warum Sie sich das antun wollen, weiß ich auch nicht. Schließlich gibt es keinen Grund dafür, sich in einen Laden zu begeben, der Mitarbeiter beschäftigt, die vor Kunden davon laufen und keinerlei sinnvolle Aussagen zu ihrem Sortiment machen können. Haben Sie etwa wirklich vergessen, dass Weihnachten schon am Montag ist? Oder gibt es dort tatsächlich noch ein iPad mini in weiß, das überall ausverkauft ist? Nun, Sie wollten es nicht anders. Sie nehmen die längste Rolltreppe Deutschlands, um in 120 Sekunden im vierten Obergeschoss anzukommen. So weit, so gut. Sie erledigen, was auch immer Sie zu erledigen hatten, gönnen sich an der verglasten Fassade noch einen Blick auf das geschäftige Treiben in der Stadt unter Ihnen und atmen ganz tief aus. Dann wollen Sie nur noch nach Hause. Doch das ist gar nicht so einfach. Die längste Rolltreppe Deutschlands rollt immer nur nach oben und die anderen Rolltreppen, die Sie nutzen könnten, sind nicht so wie Sie sie in Erinnerung hatten: sie führen ebenfalls in eine einzige Richtung – nach oben. Verdutzt schauen Sie zum Fahrstuhl, wo Sie eine lange Schlange von Müttern mit Kinderwagen entdecken. Die herkömmliche Treppe, mit Stufen, die man auf und ab laufen kann, kennen Sie gar nicht. Orientierungslos gucken Sie sich nochmal um. Zum Glück fuchtelt gerade eine ältere Frau mit einem Gehstock herum und zeigt ihrem, sich am Kopf kratzenden Ehemann, die Pfeile, die auf dem Boden aufgeklebt sind. Sie verraten, wo Sie den Weg nach oben oder nach unten finden.

Sie folgen also diesen Pfeilen und laufen, Stockwerk für Stockwerk, an Geschäften vorbei, die Sie nie sehen wollten. Aber genau das ist die Absicht der Betreiber. Scheinbar gibt es da Läden, die niemand besucht. Und die brauchen Hilfe. Es gibt schließlich Studien, die beweisen, dass es gut ist, Menschen labyrinthartig herumzuführen und ihnen die Möglichkeit zum Bummeln zu geben. So kann man auf ein Sortiment aufmerksam machen, das sonst keine Beachtung findet. Immer wieder finden sich Kunden, die auf diese Weise Einkäufe tätigen, die sie sonst nicht getätigt hätten. Doch wir leben in einer Zeit, in der der durchschnittliche Konsument Absichten wie diese durchschaut und sich darüber ärgert, dass seine Zeit verschwendet wird. Dann motiviert Frustration lediglich dazu, fernzubleiben. Aber das scheinen die Betreiber des Einkaufszentrums nicht zu wissen. Auf ihrer Website schreiben sie: „Unter der verglasten Dachlandschaft ist der Besucher dem Himmel so nah.“ Bei der Rolltreppen-Odyssee nach draußen wähnen Sie sich eher im Fegefeuer.

Das „ Multi-Marken-Center“ behauptet von sich selbst, es sei „Vollkommen. Anders.“ Nun, das ist noch nicht einmal gelogen. Und sicherlich wird es immer wieder genug Touristen geben, die zur Weihnachtszeit kommen, um die große Angebotsvielfalt zu genießen. Alle anderen bleiben eben fern. In diesem Sinne, auch den Betreibern des Einkaufszentrums: Frohe Weihnachten und eine gute neue Zeitrechnung!

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