Die Besetzung einer neuen Stelle ist ein komplexer, langwieriger und teurer Prozess. Was manchmal zwischen all diesen anstrengenden Adjektiven verloren geht: die Ergebnisse dieses Prozesses entscheiden über die Zukunft – zum einen die des potenziellen Mitarbeiters, zum anderen die des Unternehmens.
Aber haben Sie sich in letzter Zeit mal eine Stellenanzeige angeschaut? Dieser häufig erste Kontakt mit einem Unternehmen vermag – nicht selten unangenehm – zu überraschen.
Viele Verantwortliche sind scheinbar der Meinung, jeder, der auf die Idee kommt, eine Stellenbörse zu durchsuchen, kenne ihr Unternehmen. Noch amüsanter: sie gehen tatsächlich davon aus, ein Bewerber sei ein Bittsteller, das Unternehmen selbst hingegen dürfe wie ein großzügiger Gönner auftreten. Und das in Zeiten des Fachkräftemangels. Zugegeben, der Republik fehlen hauptsächlich Ärzte, Altenpfleger, Elektroingenieure, Klempner oder Restaurantfachleute, wie die Fachkräfteengpassanalyse der Agentur für Arbeit regelmäßig verrät. Die Angstmacherei ist also wahrscheinlich ein noch nicht aufgedecktes Komplott der Medien und Seminaranbieter. Aber rechtfertigt diese Tatsache die Missachtung jeglicher Logik?
Wo stecken all die Personal-Marketer, wenn man sie braucht? Warum überprüfen sie nicht die Gestaltung der Stellenanzeigen? Besuchen sie womöglich lieber Social Media-Kurse? Die sind bestimmt spannender als ein eher stilles Kommunikationsmittel für die Zielgruppe „Bewerber“? Vielleicht sind sie mit der Lektüre eines Personalmarketing-Blogs beschäftigt. Wer kann das überhaupt sagen? Sicherlich nicht der CMO (Chief Marketing Officer). Denn der beschäftigt sich kaum mit Stellenanzeigen. Zumindest nicht mit denen des eigenen Unternehmens.
Würde er das tun, könnte man annehmen, er wisse, dass Mitarbeiter Marken machen, wenn man sie lässt. Und dass, bevor jemand zum Mitarbeiter wird, er eben eine Stellenanzeige liest. Ein einfacher Blick entscheidet manchmal darüber, ob ein potenzieller Kandidat die Konkurrenz bevorzugt. Weil die sich mit ihm beschäftigt. Weil sie klar kommuniziert: Es geht nicht nur um uns – es geht auch um Dich. Du bist ein Teil eines großen Ganzen. Du machst unseren Erfolg aus. Du kannst für all die Stunden deines Lebens, die Du in uns investierst, eine Rendite erwarten. Wir geben Dir etwas zurück. Du bist eine wichtige Nummer. Und zwar nicht nur für die Lohnbuchhalter in Brno oder Bombay. Du bist nicht nur Kapital, das wie ein Stück Möbel behandelt wird.
Ja, dieses Gefühl kann eine Stellenanzeige vermitteln. Nämlich an der Stelle, – falls diese existiert, oft tut sie es aus schlecht nachvollziehbaren Gründen nicht – an der steht: „Unser Angebot“ oder, was bei Wrangler viel schöner klingt, „Ihre Aussichten“.
Die Aussichten, die Unternehmen potenziellen Mitarbeitern in Stellenanzeigen bieten, haben sehr viel mit den Ergebnissen aktueller Studien zu tun. Sie lesen sich wie die Grundlage für ein Personalmarketing-Buzzword Bingo. „Work-Life-Balance“, „Freiraum für Ideen“, „flache Hierarchien“ und „internationales Umfeld“. Bingo. Das gilt jedenfalls für die Stellenanzeigen, die sogenannte „Wissensarbeiter“ anziehen möchten, also die Menschen, die wir alle in Zukunft sein werden, wenn Roboter Brötchen backen, unseren Wasserhahn reparieren und den neuen Tisch schnitzen.
Fast überall erwarten den Bewerber „interessante“ Aufgaben. Wer würde denn auch zugeben, bei ihm herrsche tödliche Langeweile? CosmosDirekt klotzt ein wenig und behauptet „Wir haben viel zu bieten.“ Aber stimmt das auch? Zumindest in der Theorie unterscheidet sich das Angebot kaum von dem anderer Unternehmen vergleichbarer Größe. Aufmerksamkeit erregt alleine das firmeneigene Gesundheitszentrum, das für den notwendigen Ausgleich zum Arbeitsalltag sorgen soll. Aber hier wären wir wieder beim Buzzword Bingo. eGENTIC möchte mit einem „reizvollen Einsatzort“ überzeugen. Die Deutsche Bundesbank wiederum mit der Chance auf eine spätere Verbeamtung – allerdings gilt diese Möglichkeit nur für besonders leistungsstarke Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Und gerade wenn man dabei ist, über dem (nach reiflicher Überlegung, ob dabei die Umwelt zerstört wird) ausgedruckten Anzeigen-Stapel einzuschlafen, weckt einen AdTelligence auf. Neben dem Start-up-Feeling und den üblichen Phrasen gibt es Musikunterricht für alle, die kreativ sein möchten; eine „Chill Out Area“ mit XBox, Tischfußballspiel, Dart, gekühlten Getränken und co.; kostenlose Sprachkurse; kostenloses Frühstück für alle Mitarbeiter und ein Silicon Valley Austausch-Programm. Da hat sich mal jemand Gedanken gemacht und die Tipps der Arbeitsplatz- und Personal-Forscher umgesetzt. Welch heitere Aussichten!
Selbstverständlich reicht es nicht aus, einen überzeugenden Text zu schreiben und ihn schön zu verpacken. Wahr sein sollten die Versprechen auch noch. Und gerade deshalb lohnt es sich, einer Stellenanzeige Aufmerksamkeit zu schenken: sie kommuniziert, auch zwischen den Zeilen, was einen Bewerber im Alltag erwartet.
Marketing-Generalisten gibt es übrigens im Überfluss. Genauso wie Grafiker, Texter und selbsternannte Online-Spezialisten. Das Problem für den Personaler besteht darin, in der breiigen Masse die wenigen guten zu finden. Doch die lesen möglicherweise keine schlechten Stellenanzeigen.