Schublade mit Gewächs als Symbol für den ein oder anderen Marketingjob

Schattengewächse in Schubladen

Endlich geschafft: Der erste Tag in Ihrem neuen Marketingjob. Die Bahn kommt zum Stehen. Alle Passagiere steigen aus, bis auf einen schlafenden Studenten, an dessen unzeitgemäßen Bücherberg alle aus Ihrem Abteil vorbei müssen. Auf dem Gleis tanzt eine Frau in einem bunten Trainingsanzug und summt dabei vor sich hin. Die Menschenmasse, in der Sie drohen unterzugehen, bewegt sich in eine Richtung. Der Fußweg zu dem modernen Gebäude in bester Randlage beträgt kaum zehn Minuten. Ein internationales Unternehmen, tausende von Mitarbeitern, mehrere Geschäftssparten, die Website in zig Sprachen verfügbar. Gut, sie hatte beim Durchklicken etwas verwirrend gewirkt. Aber ist das nicht normal bei komplexen Strukturen?

Der erste Tag vergeht und auch das Intranet gibt nur Rätsel auf. Und im Verlaufe der ersten Woche stellt sich heraus: Die fünfköpfige Marketingabteilung, in der Sie angefangen haben, ist nicht das, was sie während Ihres Vorstellungsgesprächs schien. Die Mitglieder: Ein fauler Auszubildender, dessen Dasein ganz eindeutig einem höheren, noch nicht definierten, Zweck dient. Ein Controller und ein Personaler, die seit einem Jahr geparkt werden, bis bessere Zeiten kommen. Eine introvertierte Marktforscherin, die lieber Archäologin geworden wäre. Eine ältere Dame, die an Sophia aus „Golden Girls“ erinnert, leider nur äußerlich. Einen Marketingplan hat man hier noch nie gemacht, der erste und einzige Versuch liegt auf dem Stapel der toten Ideen. Die Abteilung reagiert spontan auf die gewinnbringenden Anfragen der Fachabteilungen. Kundenwünsche? Ein Fremdwort.

Sie schauen aus einem Fenster, das man nicht aufmachen kann. Sie wundern sich nicht mehr über den Sinn und Unsinn von zentralen Steuerungssystemen. Stattdessen fragen Sie sich wie man Sie nur so täuschen konnte. Eine denkbare Möglichkeit: Sie sind der Magie des Großunternehmens verfallen. Täglich staunen Mitarbeiter in auserwählten Unternehmen: Millionen von Umsatz? Wie schaffen die das? Ich sehe doch, dass das nicht sein kann. Und doch. Jenseits des Glamours der Bestenliste gibt es eine Parallelwelt. Ein Großunternehmen kann wie ein Dschungel sein. Spannend aus der Ferne, furchterregend wenn man von Brüllaffen umzingelt wird, oder ein Skorpion leise sein Gift injiziert.

Typische Bedrohungen sind nicht immer auf den ersten Blick erkennbar und oft nicht so schlimm wie sie scheinen.

 

Interne Marketingdefinition
Nur weil ein Unternehmen eine gewisse Größe erreicht hat, heißt das nicht, dass es weiß, welches Potential in einem fortschrittlichen Marketingansatz steckt. In manchen Unternehmen gilt:

„Marketing ist eine Geheimwissenschaft, die sich damit beschäftigt, wie man Leute dazu bringt, Dinge zu wollen, die sie nicht benötigen. Auf der Ewigenliste der zehn schlimmsten Übel der Menschheit rangiert Marketing auf dem zweiten Platz.“*

 

Es verkauft sich von selbst
Marketing bedeutet ein notwendiges Übel, das auf Fragmente seiner selbst reduziert wird. Und tatsächlich verkaufen sich bestimmte Dinge von selbst, so lange der Kunde keine Alternative sieht. Dass die Produkte des Unternehmens sich besser verkaufen könnten, interessiert nicht. Verdrängung durch Konkurrenz scheint unmöglich. Kosten sparen heißt die Devise, keinesfalls Investition. Wo käme man denn da hin? Na, vielleicht in eine andere Liga. Manche sind aber durchaus zufrieden, in der untersten Liga zu spielen. Und daran ist nichts falsch. Nur ist das vielleicht der falsche Ort für den Marketer.

 

Die Desintegrationsfalle
Wenn Unternehmen wachsen, ernennt man für die immer größer werdenden Bereiche Anführer. Diese bauen Strukturen auf, etablieren ihr Reich und sich selbst. Jahre vergehen und die Mauern zwischen den Bereichen werden dicker. Diese Desintegrationsfalle gibt es auf der funktionalen Ebene genauso oft wie auf der Produktebene. Feudalherren oder Feudaldamen machen es sich bequem. Sie müssen ihre Stellung noch nicht einmal heftig verteidigen. Da der durchschnittliche CEO, Geschäftsführer oder Zirkusleiter nur so lange bleibt, wie seine Karriereplanung es erlaubt, traut er sich selten an wirklich schwierige Fälle heran. Und so verändern sich unbequeme Zustände kaum. Bis ein Feudalherr einen anderen Bereich übernimmt, abtritt oder das Unternehmen verkauft wird. Alle Abteilungen funktionieren prima. Nur leider für sich selbst, nicht für den Kunden.

 

Death by Administration
Der Kunde erwartet schnelle Reaktionen, aber eingerostete Strukturen und fehlende Investitionen machen es schwer, dem „neuen Kunden“ gerecht zu werden. Agiert ein Mitarbeiter selbständig, ohne die Vorschriften zu beachten und die üblichen Wege zu gehen, wird er selten dafür gelobt. Viele seiner Kollegen stecken im Sumpf der Administration fest und kommen nicht mehr heraus. Der Kunde verliert, und langfristig das Unternehmen selbst.

 

Schublade
Je größer ein Unternehmen, desto größer kann die Marketingabteilung werden, desto mehr Themen werden abgedeckt. Spezialistengruppen entstehen. Aber genau diese Spezialisten sind immer wieder in Gefahr, in einer Schublade zu landen, aus der es schwer ist, wieder herauszukommen. Einmal Eventmanager, immer Eventmanager. Falls es ihnen nichts ausmacht, in einer Schublade zu leben, können Sie diesen Punkt gerne als Vorteil werten, nicht als Gefahr. Schließlich ist alles eine Frage der Einstellung.

 

… and Rest of the World
Je nach Ursprungsland des Großunternehmens können sich unterhaltsame und befremdliche Bräuche einschleichen, die sich nicht nur auf Strukturen, sondern auch auf das Marketing auswirken. Details zu diesem Thema würden den Rahmen des Artikels sprengen. Aber es lohnt sich, die Sitten vieler Länder kennenzulernen. Womöglich müssen Sie sich in Ihrer globalen Marketingrolle mit dem Tragen von Waffen in Krankenhäusern beschäftigen. (Falls das Thema Sie interessiert, lesen Sie ruhig schon mal den Artikel von ABCNews.com, auf Englisch.)

 

Letztendlich hängt das Wohlergehen des Marketingmitarbeiters in einem Großunternehmen von einem einzigen Faktor ab: Dem Menschen selbst. Er entscheidet sich dafür, ein Schattendasein zu führen oder in einer Schublade zu leben. Er kämpft dafür, die Chancen wahrzunehmen, die ein Leben mit Giganten bietet und entscheidet darüber, wann es Zeit ist zu gehen.

 

*Die Top 3 der schlimmsten Übel der Menschheit: 1. Leadership, 2. Marketing, 3. Satan. Zitat und Liste: Adams, Scott (2011), Best of Dilbert, München, Redline Verlag

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