Hahn schaut aus einer Box heraus

Wie der Überfluss das Marketing veränderte

Was ist Marketing?


Marketing ist eine Geheimwissenschaft, die sich damit beschäftigt, wie man Leute dazu bringt, Dinge zu wollen, die sie nicht benötigen. Auf der Ewigenliste der zehn schlimmsten Übel der Menschheit rangiert Marketing auf dem zweiten Platz.


Die Top 3 der schlimmsten Übel der Menschheit:

1. Leadership
2. Marketing
3. Satan

Scott Adams, Best of Dilbert

Manchmal hilft es, ein paar Minuten lang wie Dilbert zu denken, um sich wieder aufs Wesentliche konzentrieren zu können. Verzeihen Sie darum, dass ich diese Definition erneut aufgreife. Aber, dass Satan an die dritte Stelle rücken musste. Höchst erstaunlich! Was ist passiert? Kommt der Kampf zwischen Gut und Böse womöglich zu transparent daher? Haben die Menschen das über Jahrhunderte kultivierte Interesse an Lilith, Adam, Eva und ihren Gefährt:innen verloren?

Frauen, die sich ungern ihren Männern unterordnen, finden außerhalb des Paradieses Partner:innen, die ihnen auf Augenhöhe begegnen. Gefallene Engel agieren (zumeist) ohne Hörner als Influencer:innen, Speaker:innen, Coaches. Schlangen leben in Terrarien. Die Auswüchse des Marketings hingegen nehmen allerlei mystische Formen an. Und warum?

Überfluss heißt die Hauptursache. Vor seinen Auswirkungen auf Marketingverantwortliche warnte schon „Das Kleine Marketing-Lexikon“ im Jahre 1999. (Einer der Autoren vertrieb dieses Werk damals erfolgreich über den Kanal „Vorlesung“ – er versprach, die Investition von 52 DM würde eine unfassbar hohe, lebenslange Rendite bringen.)

Abgestimmtes Verhalten. Aktive und passive Desinformation. Irreführende Werbung. Geplante Obsoleszenz. Viele Einträge von damals bleiben aktuell. Aber ebenso viele Begriffe fehlen, denn verschiedene technologische wie gesellschaftliche Umwälzungen sollten erst folgen. Lassen Sie uns das Nachschlagewerk um ein paar moderne Begriffe ergänzen.

Digitales Fälscherhandwerk

Gefälschte Bewertungen, Klickzahlen, Profile, Nachrichten und Schlagzeilen, deren einziger Sinn darin besteht, ihre Leser:innen auf die eigene Website zu locken. Das digitale Fälscherhandwerk blüht. Sickert eine Nachricht über betrügerische Handlungen durch, erscheint sie auf Seite eins der Nachrichtenportale und verschwindet am nächsten Tag wieder. Wussten Sie, dass Amazon gerichtlich gegen die Administrator:innen von mehr als 10.000 Facebook-Gruppen vorgeht, weil diese gefälschte Bewertungen auf Amazon Marketplaces veröffentlichten? Ach, was. Binäres Schneegestöber von gestern.

Größenwahn

Draußen schmilzt der Asphalt, also sprechen wir über Eis. Eine Kugel gleicht in ihrer Größe einer Pampelmuse; im 20. Jahrhundert bevorzugten die Eishersteller:innen noch bescheidene Mandarinen. Zu den unangenehmen Nebenwirkungen dieses Größenwahns gehört die Gewichtszunahme. Betroffen sind insbesondere nostalgisch veranlagte Kund:innen, die mehr als nur eine Sorte kosten wollen.

Gentrifizierung der Timeline

Von 7,9 Milliarden Erdenbewohner:innen nutzen 4,6 Milliarden aktiv soziale Netzwerke. Je nach Region können das 8 Prozent der Gesamtbevölkerung (in Zentralafrika) bzw. 85 Prozent (in Nordeuropa) sein. Doch ob Facebook, Instagram, LinkedIn oder Twitter – sie alle zeigen sich mit der Zeit erstaunlich egoistisch für selbsternannte Menschenfreund:innen. (Auf Facebook bleiben wir mit Menschen in Verbindung. Instagram gibt den Menschen die Macht, eine Gemeinschaft aufzubauen. LinkedIn heißt uns in unserer beruflichen Community willkommen. Twitter lädt uns zu Diskussionen ein und versichert, wir könnten uns sicher fühlen.) Weshalb sich stets die gleiche Vorgehensweise beobachten lässt:

Eine Plattform sammelt in ihrer Frühphase Nutzer:innen. Deren Timeline besteht aus chronologisch sortierten Posts der Personen und Unternehmen, denen sie folgen bzw. mit denen sie verlinkt sind. Unterdessen erkennen Werbetreibende neue Möglichkeiten, sich zu präsentieren und mischen sich unters Volk. Fortan stören aggressive Botschaften das bisher ruhige Miteinander in der individuellen Timeline.

Beiträge von alten Freund:innen sehen wir seltener und die glauben, wir hätten nichts mehr zu sagen. Denn, was wir sehen und lesen dürfen, bestimmt der Algorithmus. Der behauptet zwar, er hätte eine Ahnung davon, was für uns gut sei. Aber er irrt sich (absichtlich) und führt manch einen Post, den wir gerne gesehen hätten, in die düstere Zone jenseits der Scrollgrenze. Inspirierende Konversationen und bedeutende Interaktionen (die streben sämtliche sozialen Netzwerke an) gehen plötzlich nur noch von denen aus, die sich einen Platz in der Timeline erkaufen. Die Alteingesessenen verlassen gezwungenermaßen die Gegend.

Waschzwang

Vernehmen Unternehmen mit Vorliebe für Grauzonen gesellschaftliche Entwicklungen, denen Medien Aufmerksamkeit widmen, so mögen sie auf die Idee kommen, sich von schmutzigen Wahrheiten reinzuwaschen, um – je nach Thema – etwa besonders grün (Assoziation:  umweltfreundliches Geschäftsgebaren) oder besonders pink (Assoziation: Engagement für die Gleichstellung von LGBTQI-Personen) zu erscheinen. Obwohl sie es nicht sind. Die Phänomene tragen entsprechend die Namen Greenwashing und Pinkwashing. Nicht immer erkennen Kund:innen diesen Reinigungsprozess. Wer würde denn auch die Behauptung anzweifeln, der „Innocent“ Smoothie rette mit seinen Wegwerf-Plastikflaschen unseren Planeten?

Konsumerismus 4.0

Heute, mehr denn je, möchten etliche Zeitgenoss:innen ihr Bedürfnis nach neuen Konsumgütern jederzeit befriedigt wissen (= Konsumismus). Was wiederum Unternehmen ermutigt, dieses Bedürfnis, Dinge zu kaufen, weil wir sie wollen und nicht, weil wir sie brauchen, zu erfüllen. Der Konkurrenzdruck ist groß. Der Umgang mit ihm nicht selten kreativ. Die Dimensionen reichen von hinterhältig bis kriminell.

Schon in den 1970er Jahren entwickelte sich eine Bewegung, die es sich zum Ziel machte, Konsument:innen aufzuklären und vor der Kreativität der Anbieter:innen zu schützen (= Konsumerismus). Es entstanden Institutionen, die das Wohl der Verbraucher:innen im Sinne haben, beispielsweise Stiftung Warentest. Gesetze wurden geschaffen und angepasst. Widerrufsrecht. Ferienwohnrecht. Wohnraummietrecht. Fluggastrechte-Verordnung. Wettbewerbsrecht. Usw.

Die Digitalisierung verändert die Natur der fragwürdigen Marketingwerkzeuge. Zahlreiche neue entstehen. Deswegen herrschen vielerorts ähnlich chaotische Zustände wie in der Ära der Industrialisierung. Der bestehende Schutz reicht nicht mehr aus, somit haben die Anhänger:innen des Konsumerismus alle Hände voll zu tun. Sie entwickeln kleine Hilfsmittel wie Ad-Blocker bzw. verwirklichen große Vorhaben wie den Digital Services Act oder den Digital Markets Act.

Was ist also letztendlich Marketing?

Vor allem Einstellungssache.

Es ist nie zu spät, verantwortungsvoll zu handeln.

Wir freuen uns auf Ihre Ideen und Anregungen

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Aber wir müssen uns davon überzeugen, dass Sie kein bösartiger Roboter sind. Die dazu erforderlichen Felder sind mit * markiert.

zwanzig − achtzehn =