Werbung hat ein ernsthaftes Imageproblem. Es ist inzwischen so schlimm, dass noch nicht einmal Menschen, die ihren Lebensunterhalt hauptsächlich mit ihr verdienen, diese in Verruf geratene Vokabel in den Vordergrund stellen wollen. Daher begegnet man vermehrt Unternehmen für kreative Kommunikationsdienstleistungen oder Studios für innovative Markenführung und alle reden darüber, wie man das, was Werbung ausmacht, am besten in ein trojanisches Pferd kriegt (durch Native Advertising, gefälschte Flash-Mobs und andere fantasievollen Methoden). Dabei ist Werbung doch gar nicht so schlimm. Manchmal.
Was war Werbung nochmal?
Das Brockhaus’ Konversations=Lexikon von 1895 beschreibt Werbung (früher verwendete man allerdings den Begriff Reklame) als öffentliche Anpreisung von Gegenständen des geschäftlichen Verkehrs sowie Leistungen künstlerischer oder ähnlicher Art. Und zwar in Prospekten, Anschlägen, Firmenschildern, durch Ausrufer, Blattträger, aber insbesondere in Zeitungen oder Zeitschriften.
„Die Reklame unterscheidet sich von der einfachen Annonce dadurch, dass sie sich besonderer, ausgeklügelter Mittel bedient, um unter der Masse der übrigen Inserate die Beachtung des Publikums zu erzwingen. Dies geschieht durch auffällige oder geheimnisvolle, die Neugier erweckende Überschriften, Raumverschwendung, stereotype Wiederholungen usw., besonders aber durch bildliche Darstellungen, z.B. die Straßenreklame an Anschlagsäulen, in welcher Beziehung namentlich die englische und amerikanische Reklame Hervorragendes leistet. Ein besonderer Kunstgriff besteht darin, die bezahlte Annonce als eine von der Zeitungsredaktion oder auch von dritter Seite ausgehende Empfehlung erscheinen zu lassen.“
Der letzte Satz beweist: Werbung konnte schon vor mehr als einhundert Jahren hinterhältig sein. Doch in Zeiten, in denen sich jeder authentisch geben will, kommt so etwas gar nicht gut an. Weshalb die Verantwortlichen lieber (praktischerweise in fremder Zunge umschriebene) Methoden (wied)erfinden, um ihre über viele Jahre verfeinerten und in Fernsehserien gefeierten Kunstgriffe zu praktizieren.
Was muss ich beachten, wenn ich echte Werbung machen will?
Sollten Sie sich dazu entschließen, diese Zweifel hervorrufende Kommunikationsform zu nutzen, müssen Sie ein paar wesentliche Entscheidungen treffen.
Ausgehend von Ihrer Marketingstrategie… (Sie haben eine solche, oder? Viele Marketer lassen sich nämlich von bunten Bildern und magischen Tricks der Agenturen ablenken und stürzen sich in einen schillernden Abgrund jenseits von ROI – Return on Investment – und Vernunft. Aber Sie doch nicht?)
… beantworten Sie zunächst folgende Fragen:
- Was sind Ihre Ziele (und damit einhergehend Ihre Zielgruppen)?
- Wie viel Geld möchten Sie ausgeben?
- Welche Nachricht soll bei den Menschen ankommen?
- Welcher Medien bedienen Sie sich?
- Wie messen Sie die Ergebnisse?
Die letzten beiden Punkte dürften Ihnen am meisten Kopfzerbrechen bereiten. Schließlich reicht die Bandbreite der Medien heute von A wie Apple-Watch bis Z wie Zeitschriftenständer an der Trinkhalle. Und das mit dem Messen. Das ist auch so eine Sache. Alles geht und nichts funktioniert. Paradoxerweise vor allem im Bereich Online-Werbung. Aber Sie kriegen das schon hin. Vertrauen Sie auf sinnvoll ausgewählte Daten, nutzen Ihren gesunden Menschenverstand und hinterfragen stets die Maßnahmen, die eine Agentur Ihnen vorschlägt.
Wie fällt Werbung in der Praxis aus?
Marktschreierisch. Lustig. Sexistisch. Wenn Sie Ihre Augen und Ohren offen halten, dann finden Sie für jedes deutsche Adjektiv ein Beispiel.
fantasieanregend
Erinnern Sie sich noch an die Lego-Figuren, deren Gesicht aus zwei Punkten und einer Klammer bestand? Damals gab es keine bärtigen Feuerwehrmänner oder Modells mit verspiegelter Sonnenbrille. Sie existierten nur innerhalb einer von Kindern erschaffenen Welt. An diese Leistung der Vorstellungskraft erinnert einen die Anzeige von Blattner Brunner aus den USA.
flüssig
Trockene Werbung – das muss nicht sein. Schauen Sie sich nur Carlsberg und Coca Cola an.
poetisch
Poesie und Reklame? Der britische National Trust tat sich mit dem Dichter Dr. John Cooper Clarke zusammen, um ein ganzes Land an die Liebe zu seiner Küste zu erinnern und zu ermahnen, dass jene Landschaft nachhaltige Pflege braucht.
peinlich
In einer Zeitungsanzeige macht die Agentur Jung von Matt/Neckar auf sich selbst aufmerksam. Sie möchte die Gunst der Kreativen gewinnen – mit einem Text, der nicht nur die Facebook-Fans spaltet. Der Verfasser lässt kein Klischee aus und spätestens beim Thema „heiße Praktikantinnen“ fragt man sich verwirrt: Machen die sich hier etwa über sich selbst lustig?
Und das Fazit?
Werbung gehört zu einer Fülle von Kommunikationsmitteln, die Marketern zur Verfügung stehen. Viele Jahre lang stand sie im Scheinwerferlicht und brachte eine Branche hervor, die sich selbst ein wenig zu ernst nimmt. Man muss sie deshalb weder verteufeln noch in den Himmel loben. Werbung soll Ihnen dabei helfen, Ihre Ziele zu erreichen. Sie ist… was Sie daraus machen. Und das heißt im besten Fall: überzeugend.
Ein Gedanke zu „Werbung: Eine Kommunikationsform voller Poesie und Peinlichkeiten“