KI - Schlagzeilen

Alltagsnotizen zu künstlichen Illusionen und natürlichen Realitäten

Der Wettstreit um die Vorherrschaft im Bereich künstliche Intelligenz erinnert an die Geschichten über Kolonialherren oder die Eheleute Macbeth. Um ans Ziel zu gelangen, intrigieren die Akteur:innen, stehlen und machen große Versprechen, die sie nicht einhalten werden. Beim Lügen scheren sie sich noch nicht einmal um passende Pinocchio-Zoom-Filter.

Wer dem Schauspiel zusieht, hat es nicht leicht, den Überblick zu behalten. Soll ich mich anderen Dingen zuwenden, angesichts der wirren Machenschaften? Mitmischen? Sie verhindern? Worum geht es überhaupt?

Technologieunternehmen beschwören eine Zukunft voller verbesserter Menschen.

Efektiver am Arbeitsplatz, fitter für die Verheißungen des Konsumalltags, besser aussehend für den Algorithmus in sozialen Medien wollen sie diese gestalten.

Die Druiden aus dem Silicon Valley brühen den Zaubertrank, der die optimierte Version unserer selbst ermöglicht. Unternehmen, die behaupten, sonst nicht überleben zu können (und Arbeitsplätze außer Landes schaffen zu müssen, aber keinesfalls an die Orte, an denen ihre von Steuern befreiten Geldsummen weilen), verzehren und servieren brav das Gebräu.

So groß ist ihr Engagement, dass sie, wie Microsoft, Kund:innen gegen Urheberrechtsverletzungen durch KI versichern. Niemand soll schließlich aus Furcht vor Gerichtsverfahren auf künstliche Intelligenz verzichten. Genauso wie Microsoft nicht auf seine Rendite verzichten möchte. 13 Milliarden investierte der Konzern in OpenAI, dessen ChatGPT Ende 2022 das Thema künstliche Intelligenz in allen Kaffeeküchen platzieren konnte.

Picsart und Getty setzen auf Exklusivität. Sie entwickeln einen KI-Bildgenerator, der zum Training ausschließlich lizenzierte Inhalte von Getty nutzt. Dove, eine Kosmetikmarke von Unilever, hat sich selbst dazu verpflichtet, niemals KI einzusetzen, um Frauenbilder zu erstellen oder zu verzerren.

Aber was nützt so ein Verzicht, wenn Prognosen zufolge 90 Prozent der Inhalte bis 2025 von KI generiert werden?

Wie finden wir die 10 Prozent menschlicher Schöpfung? Wer wird sich die Mühe machen? Und in welchen Fällen? Wozu noch selbst lesen, schreiben oder denken?

Eines der beliebtesten Argumente für den Einsatz künstlicher Intelligenz: Mitarbeitende würden entlastet und hätten endlich Zeit für mehr Menschlichkeit, vor allem im Umgang mit Kund:innen. Im Zuge der Digitalisierung betonten schon viele Unternehmen ihre Nähe zu Menschen

Der Hype um künstliche Intelligenz brachte menschliche Regungen erneut auf PowerPoint-Folien, die selbst nie verschwinden wollen (die Antwort heißt manchmal wirklich Bill Gates). Aber wie Sie vielleicht aus Erfahrung wissen, handelt es sich lediglich um eine Illusion. Denn den meisten Organisationen geht es immer nur um eins – Kosten sparen, Kosten sparen, Kosten sparen. Oder spüren Sie echte Veränderungen? Vielleicht im Kundenservice?

„Eine auf dem Profit beruhende Industrie ist bestrebt – durch Schulung – die Menschen für den Kaugummi und nicht Kaugummi für die Menschen hervorzubringen.“

Antoine de Saint-Exupéry, Carnets

Unternehmen, die einst Produkte für Menschen entwickelt haben, machen sich noch nicht einmal mehr die Mühe, Menschen in den Entwicklungsprozess einzubeziehen. Stattdessen setzen sie auf synthetische Nutzer:innen. Die bieten eine kostengünstige Simulation menschlicher Eigenschaften und Verhaltensweisen. Wo führt das hin?

„Ein synthetischer Benutzer ist ein von einer künstlichen Intelligenz erstelltes Profil, das versucht, eine Benutzergruppe zu imitieren und künstliche Forschungsergebnisse zu liefern, ohne reale Benutzer einzubeziehen. Ein synthetischer Nutzer äußert simulierte Gedanken, Bedürfnisse und Erfahrungen.“

Maria Rosala, Kate Moran, „Synthetic Users: If, When, and How to Use AI-Generated “Research”

Der Drang, sich bei physischen Produkten von der Massenproduktion abzuheben und durch die Qualität der eigenen Waren zu überzeugen, hat jede Menge Manufakturen hervorgerufen. Für immaterielle Leistungen, die einst von unseren individuellen geistigen Fähigkeiten zeugten, formiert sich bereits eine Gütesiegel-Industrie zur Auszeichnung natürlicher Denkprozesse.

Schließlich entsteht Einzigartiges durch eine Kombination aus Millionen von Details, die sich weder analysieren noch nachahmen lässt. Dazu gehört der Geruch von verbrannter Milch. Die Träne, die auf die Seiten von „Der stumme Frühling“ fällt. Das analoge Gespräch in einem Zug, der gerade einen Mann überfahren hat. Das Gefühl von Brennnesseln auf der Haut. Der Blick auf einen an unserer Spezies völlig uninteressierten Hai in 30 Meter Tiefe. Der Kratzer beim Song „Is you is or is you ain’t my baby“ auf der Schallplatte von Dinah Washington.

KI schafft per se keine Authentizität. Sie ermöglicht maschinelle Reproduktionen. In der Umsetzung liefert sie deshalb nur Mittelmäßigkeit. Haben Sie Interesse daran, sich von anderen abzuheben, dann wird es Sie freuen, dass die Anderen sich in technischen Details und Effizienzfantasien verzetteln.

Vielleicht setzen Sie sich mit dem Thema künstliche Intelligenz kritisch auseinander.

Vielleicht finden Sie heraus, dass ein Thermomix kein Restaurant betreiben kann.

Vielleicht erledigen Sie die Grundlagenarbeit solide. Denken also zuerst an Menschen und Prozesse. Definieren, welche Informationen Sie für Ihren Erfolg brauchen. Entwickeln eine Strategie, die umsetzbar ist, auf die erst die Implementierung von Werkzeugen folgt, die strategisch Sinn machen. Setzen auf verantwortungsvolles, inklusives, intelligentes Marketing.

Es wäre doch denkbar?

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