Spähende Figur als Symbol für das Warten auf einen Mitarbeiter eines Internetproviders

Warten auf Godot

„Das sind Krawattenträger und Schwätzer. Ich gehe jetzt. Von mir aus stimmt alles. Eigentlich dürfte jetzt nichts mehr schiefgehen.“

Mit diesen pragmatischen Worten eines Technikers für Telekommunikation endete ein Albtraum aus dem ich erst kürzlich erwacht bin – eine Erfahrung, die nur denjenigen zur Nachahmung empfohlen werden kann, die über die Fähigkeit verfügen, sich in einen Zustand meditativer Versenkung zu begeben, und eine Vorliebe für Sozialstudien oder Marketingkatastrophen haben.

Angefangen hatte alles mit einem vermeintlich harmlosen Brief. Er kündigte die digitale Zukunft in meiner DSL-Leitung an. Analog, das sei nicht mehr en vogue. Man könne den Internetzugang auf diesem Wege nicht mehr anbieten. Und weil analoge Telefonanschlüsse, in denen sich auch im einundzwanzigsten Jahrhundert ein Wählscheibetelefon noch unbeobachtet wohlfühlen konnte, schleichend aus unserem Leben verschwinden, legte man mir nahe, diese altertümliche Verbindungsart beim Marktführer zu kündigen, und mich komplett in die Hände eines einzigen Anbieters zu begeben. Das Angebot schien trotz eines unterschwellig flackernden Misstrauens durchaus reizvoll. Schließlich machte der Anbieter, der mich schon seit vielen Jahren mit der restlichen Welt via DSL-Kabel verbunden hatte, nie Probleme. Außerdem würden meine Kosten optimiert. So bliebe mehr Geld für Biomilch und Wacker’s-Kaffee.

Doch schon die erste Begegnung mit dem Service-Apparat hätte mir eine Warnung sein müssen. Da ich den Link, der mir vom Leiter Produktmanagement in einer E-Mail zugeschickt wurde, zwar anklicken, mit der dargestellten Information allerdings nichts anfangen konnte, schrieb ich eine Nachricht an die zum Kontakt angegebene Adresse. Leider antwortete niemand. Es folgten eine Unterhaltung via Twitter und ein Telefonat, das mit den Worten endete: „Rufen Sie einfach in einer Stunde wieder an. Ich habe jetzt Feierabend.“

In der Zwischenzeit startete ich eine nicht repräsentative Umfrage unter Freunden und konnte keinen finden, der von seinem Internetprovider schwärmte. 2014 gab es in Deutschland 29,4 Millionen Breitbandanschlüsse. Würden etwa alle diese Menschen antworten wie meine Freunde? Und wenn ja, warum? Ich fürchte, die Lösung liegt in dem Wunsch nach Biomilch und Wacker’s Kaffee.

Auch Internetprovider wollen ihre Kosten optimieren. Der Unterschied: Meine Freunde und ich verzichten üblicherweise weder auf freundliche Worte noch eine kompetente Behandlung unseres Gegenübers, um an Biomilch oder Kaffee zu kommen. Eine Organisation mit tausenden von Mitarbeitern zieht es hingegen vor, Abstriche zu machen. Ein Mitarbeiter ist für sie häufig kaum mehr als eine Kennzahl, die es zu optimieren gilt. Und genau so wird er auch behandelt. Deshalb beschränkt sich seine tägliche Verhaltensweise darauf, das System, das für seinen Lebensunterhalt sorgt, zufriedenzustellen. Der Kunde kommt zwar darin vor. Doch betrachtet der Mitarbeiter ihn als eine Zahl, wie er selbst eine ist.

Aus Mangel an ernsthaften Alternativen beschloss ich bei dem Internetprovider zu bleiben und übertrug ihm das Recht, meinen alten Telefonanschluss zu kündigen. Auf eine über eine Woche andauernde Telefonterror-Phase, in der der alte Telefonanbieter drei Mal am Tag versuchen wollte, mich davon zu überzeugen, zu bleiben, folgte die freudige Ankündigung: alles wird gut.

Doch bis es gut wurde, musste ich eine gefühlte Ewigkeit auf den Router warten. Nach seiner Ankunft blinkte tagelang die Power-DSL-Lampe, ihre tiefe Unzufriedenheit mit dem Zustand der Leitung signalisierend.

Und so erlebte ich eine unfreiwillige Reise durch ein wirres Geflecht von Einbahnstraßen. Ich lernte mindestens fünfzehn Mitarbeiter des Internetproviders kennen, von denen jeder genau einen Blick ins IT-System warf, und sich über den jeweils von seinem Kollegen ausgelösten Schritt wunderte. Zu den Höhepunkten dieses Trips gehörte eine E-Mail mit der Aussage, man hätte mich auf dem Festnetz telefonisch nicht erreichen können. (Dem Festnetz, das nicht funktionierte, weil zunächst der Router fehlte und dann die Leitung tot war.)

Irgendwann, als ich nicht mehr an das Gute glaubte, nannte man mir einen Termin, an dem ein Techniker kommen sollte. Also wartete ich. Und die langsam verstreichende Zeit fühlte sich an wie das Warten auf Godot. Ich war äußerst irritiert und befürchtete, der Mann, der meinen Albtraum beenden könnte, würde nie kommen. Währenddessen schwirrten zwei Gedanken durch meinen Kopf:

  1. Mitarbeiter können auch anders. Vorausgesetzt man lässt sie.
  2. Wenn ein IT-System lediglich als Ablagesystem genutzt wird, dann bleiben all die Loblieder auf Big Data nur dummes Geschwätz.

Ein Gedanke zu „Warten auf Godot“

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