Buchstaben an einer Hauswand

Hinweis: Der achtsame Umgang mit Worten könnte Veränderungen bewirken

Ich bin Kugeln und sogar vergifteten Pfeilen ausgewichen, doch letztendlich streckte mich die Klinge eines Vokals nieder.*

Sprache ist ein mächtiges Werkzeug. Sie schafft Illusionen und Verhältnisse. Unternehmen benutzen Worte gern als Köder und verwenden viel Zeit darauf, Algorithmen mit den richtigen Vokabeln zu füttern. Gelegentlich lassen sie uns bittere Sätze schlucken.

Wenn das strategische Genie eines Lebensmittelunternehmens sich uns mit einem hochgestreckten Mittelfinger vorstellt, dann setzt es ein Statement. Entschlossen bringt sein Unternehmen die Botschaft in der Werbung unter: vieles dreht sich um männliche Geschlechtsteile und das, was man mit ihnen anstellen kann. Während Samenstau und Oralverzehr anmuten, als hätten pubertierende Praktikant:innen die Anzeigen nach einem Feierabendbier freigegeben, eignen sich Aussagen à la „Ich nehme sie am liebsten von hinten.“ oder „Abgefüllt und mitgenommen.“ als Beispiele für alltäglichen Sexismus. Passenderweise verleiht dasselbe Team Eier aus Stahl.

Können Sie sich vorstellen, in diesem Umfeld käme jemand auf die Idee, sich für eine gendergerechte Sprache einzusetzen?

„Gendern finde ich zum Kotzen!“ äußert ein verwandter Schöpfergeist, der eine Vorliebe dafür hat, mit Technobeats unterlegte Worte in Dauerschleife zu sprechen. Er hält jene, die sich einer gendergerechten Sprache bedienen, für Idiot:innen. Ein weniger bekannter Journalist bezeichnet das Gendern als ein „Attentat auf Ästhetik, Schriftbild und Kommunikationskultur“. Der Verein Deutsche Sprache fürchtet sich vor den zerstörerischen Eingriffen, die das Bestreben nach mehr Geschlechtergerechtigkeit auslöst, und ruft zum Widerstand auf. (Sowohl Dr. Hans-Georg Maaßen als auch Dieter Nuhr gehören zu den Erstunterzeichnern des Appells.) Illustre CDU-Politiker fordern wiederum ein Genderverbot in Behördentexten.

Die Gegner:innen des Wandels wappnen sich gegen den Untergang der deutschen Sprache.  Unklar bleibt, in welchem Jahrhundert sie gern verhaftet wären, denn müssten Sie sich mit Goethe unterhalten, verstünden sie vermutlich nur Bahnhof (oder eher: Poststation). Die Damen und Herren betonen, das generische Maskulinum habe nichts mit Diskriminierung zu tun.

Männlich. Weiblich. Divers. Die männliche Form meint doch alle anderen mit!

Zahlreiche Übersetzer der Bibel meinten (zumindest) die Frau ebenfalls mit. „Und Gott der Herr baute eine Frau aus der Rippe, die er von dem Menschen nahm.“ Obwohl Gott Adam wohl eher kein bestimmtes Geschlecht zuordnen wollte (leider gibt es für dieses Zwiegespräch keine Zeug:innen), setzten diese Gelehrten den Menschen gleich mit dem Mann. Und so beanspruchten Männer viele Jahrhunderte lang für sich, die Allgemeinheit zu repräsentieren (natürlich nicht nur, weil sie so bibelfest waren, aber so eine schriftliche Bestätigung von ganz oben dient als Legitimation). Zu schade, dass sich die Übersetzer der Bibel, im Gegensatz zu Vertreter:innen anderer Kulturen, einen doppelgeschlechtlichen Urmenschen nicht vorstellen konnten.

Auf mangelnde Vorstellungskraft treffen wir bis heute (bei allen Geschlechtern). Vielleicht verursacht sie die aggressiven Reaktionen auf das Gendern. Mit dem Geschlecht sind nämlich stereotype Rollenbilder verbunden und an diesen festzuhalten, fällt es den Menschen wesentlich leichter, als andere Perspektiven einzunehmen und Verhaltensweisen zu verändern. Wer sich für eine gendergerechte Sprache entscheidet und auf diese Weise Rollenbilder infrage stellt, macht sich also große Mühe: Änderungen unseres Sprachverhaltens können wir nur ganz bewusst herbeiführen. Wort für Wort und Satz für Satz.

Die meisten Unternehmen beobachten den Wandel in der Gesellschaft. Manche gestalten ihn mit.  OTTO setzt sich beispielsweise mit dem Gendern auseinander. Zehn der dreißig DAX-Konzerne geben an, sie verwendeten bereits eine geschlechtergerechte Sprache. Zwei wollen dies noch tun, zwei gar nicht und zwölf interessieren sich nicht für Umfragen zum Thema. Innerhalb von Unternehmensfamilien gehen Mutterkonzerne bisweilen andere Wege als Tochterunternehmen, wie Audi und VW. Aber kaum traut sich Audi eine gendersensible Sprache einzuführen, schon sieht sich das Unternehmen mit der Klage eines VW-Mitarbeiters konfrontiert. Seine Anwälte führen an, der Mann fühle sich massiv gegängelt. Unterstützt wird er von dem Verein Deutsche Sprache (siehe oben), in dessen Vorstand ein weibliches Mitglied der AfD sitzt, der Partei, die klare traditionelle Geschlechterverhältnisse bevorzugt. VW bleibt deshalb vorsichtshalber beim generischen Maskulinum. Innerhalb des Geschäftsberichtes heißt es etwa: „Wir bitten unsere Leserinnen und Leser um Verständnis, dass wir aus Gründen der Sprachvereinfachung die maskuline grammatische Form verwenden.“ Wozu alles verkomplizieren? Wollen wir nicht alles beim Alten lassen?

Nein. Lieber nicht, VW.

Vergebens sucht er sie zu Kolonisatoren zu machen, indem er ihnen Land anweist, ihnen Vieh zuteilt und reichlich sogar auch menschliches Vieh, nämlich sechzig bis siebzig Eingeborene jedem einzelnen als Sklaven.


1927 schreibt Stefan Zweig diesen Satz über Ereignisse, die 1513 im heutigen Haiti stattfanden.

Sprache spiegelt den Zeitgeist und unsere Werte wider. Sie hat einen großen Einfluss darauf, wie wir denken und handeln. Natürlich muss niemand seine Sprachgewohnheiten ändern. Aber ein achtsamer Umgang mit Worten trägt dazu bei, dass sich die Spezies Mensch weiterentwickelt. Machen wir es uns also unbequem. Es lohnt sich.


*Tori Amos, „Battle of Trees“

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